Radikale Linke und Gesellschaft im Frankreich der Nachkriegszeit
Daniel Bensaïd schildert in seiner politischen Biographie den Werdegang der Neuen Linken in Frankreich und Lateinamerika. Diese ging und geht ganz andere Wege als die deutsche Linke – was das Buch jenseits des Biographischen zu einer erhellenden Lektüre macht.
Der Aktivist und Philosoph erzählt in „Ein ungeduldiges Leben“ (Laika Verlag, 2016) seine packende politische Biographie, in der sich Individuum und Kollektiv, Theorie und Praxis überschneiden, widersprechen und versöhnen. Das „Ich“ und das „Wir“, die persönlichen und die geteilten Erfahrungen, zeugen von einem politischen Leben, das im Frankreich der 60er Jahre beginnt.
Die Jugend in einem von den Spanischen Republikanern geprägten Toulouse als Sohn eines Profiboxers aus Oran, der Beginn der 68er-Bewegung in der französischen Provinz und in Paris, die schmerzhafte Erfahrung der argentinischen Linken, die Neulektüre von Marx: Unterschiedlichste Facetten eines bewegten Lebens. Aus der Perspektive eines Akteurs blicken wir auf weltweite politische Ereignisse wie der Algerienkrieg und die antikoloniale Solidaritätsbewegung dagegen, die durch den Protest gegen den Vietnamkrieg weiter befeuert wurde. Daraus entstand in Frankreich eine Linke, die im Mai 1968 in Frankreich eine fast revolutionäre Situation provozierte. Dennoch handelt es sich nicht um eine nostalgische Rückschau auf längst vergangene Zeiten. Greifbar wird dies im mehr denn je notwendigen antifaschistischen Kampf gegen Strömungen wie den Front National, der Bensaïds Bericht auch für die heutige politische Situation bedeutsam macht.
Elfriede Müller (Übersetzerin des Bandes, jour fixe initiative berlin) und Kerstin Schoof (Lektorin) stellen die Auseinandersetzungen, Themen und Entwicklungen der französischen radikalen Linken von 1960–2010 vor und lesen entsprechende Auszüge aus der Autobiographie.
Biographie:
Daniel Bensaïd (1946–2010) lehrte Philosophie an der Universität Paris VIII (Saint-Denis), war Mitbegründer mehrerer linksradikaler Organisationen (JCR, LCR, NPA) und versuchte sein politisches Leben lang – nach der stalinistischen Tragödie und dem Triumph der Warengesellschaft – die Hieroglyphen dieser Gesellschaft zu entziffern und eine emanzipatorische Perspektive aufrecht zu erhalten.