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Fach­buch­hand­lung des Jah­res 2013

(Lau­da­tio von Hans Frie­den)

Neu­lich, ich saß wie so oft in einem Zug der Deut­schen Bahn und las ent­spannt in der Süd­deut­schen Zei­tung, begann das „Streif­licht“, mei­ne Lieb­lings­ko­lum­ne, mit fol­gen­dem Satz: „Geht man davon aus, dass Kants phi­lo­so­phi­sche Ent­wick­lung von einer losen Ver­bin­dung natur­wis­sen­schaft­li­cher mit ratio­na­lis­tisch-meta­phy­si­schen Fra­ge­stel­lun­gen zu einer vom Skep­ti­zis­mus Humes ange­reg­ten kri­ti­schen Prü­fung der Mög­lich­kei­ten von Meta­phy­sik über­haupt führ­te, also zur Fra­ge nach der Mög­lich­keit von Erkennt­nis aus rei­ner Ver­nunft..“ – und obwohl der Satz hier noch lan­ge nicht fer­tig war, erin­ner­te ich mich schon — nein, nicht an ver­gan­ge­ne Zei­ten im stau­bi­gen Hör­saal. Ich dach­te sofort an die Karl Marx Buch­hand­lung. So reden die näm­lich dort! Noch bes­ser, ich habe unter­trie­ben: Sie könn­ten so reden, wenn sie woll­ten!

Stel­len wir uns mal vor, ein Kun­de betritt die Karl Marx Buch­hand­lung und erkun­digt sich nach einem Buch — sagen wir mal und blei­ben im „Streif­licht“ — „Zur prin­zi­pi­en­theo­re­ti­schen Selbst­re­fle­xi­on der Ver­nunft“. Bei Karl Marx wird, wäh­rend man gemein­sam zum gro­ßen Phi­lo­so­phie-Regal schrei­tet, schon mal höf­lich nach­ge­fragt, ob der Kun­de an Hegels Beschäf­ti­gung mit dem The­ma gedacht habe oder doch eher an Ador­nos Sicht auf die­se Fra­ge inter­es­siert sei. Anders­wo bekommt die Kun­din ein „Hä“ mit drei Fra­ge­zei­chen zur Ant­wort oder wird gar zum nächst­ge­le­ge­nen Bau­markt ver­wie­sen.

Es kommt noch bes­ser: Wir könn­ten das Bei­spiel auch mit Fra­ge­stel­lun­gen und Büchern aus sozi­al­wis­sen­schaft­li­cher oder kul­tur­theo­re­ti­scher Per­spek­ti­ve durch­spie­len – bei Karl Marx gäbe es stets geschei­te Ant­wor­ten – und, noch schö­ner! — die pas­sen­den Bücher dazu. Das gilt, wir wol­len es nicht ver­ges­sen, auch für die wun­der­ba­re, manch­mal eigen­wil­lig und immer mit Lie­be gepfleg­te Bel­le­tris­tik-Abtei­lung.

Ein beson­de­res Enga­ge­ment gilt der poli­ti­schen Theo­rie und der Geschich­te. Ich behaup­te hier mal ganz wage­mu­tig, dass wohl kei­ne Buch­hand­lung in Deutsch­land, ach was, im deutsch­spra­chi­gen Raum, eine grö­ße­re und tie­fer sor­tier­te Abtei­lung bei­spiels­wei­se zum The­ma „Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus“ pflegt als dies bei Karl Marx geschieht. Und „pfle­gen“ heißt im Buch­han­del von heu­te, dass ein Buch wegen des The­mas und der Qua­li­tät im Regal steht — unab­hän­gig von einer betriebs­wirt­schaft­li­chen Lager­um­schlags­ge­schwin­dig­keit und dgl.

Ein sol­ches Enga­ge­ment gehört zur Geschich­te die­ser Buch­hand­lung. Auch in Frank­furt weh­te bekannt­lich in den spä­ten 1960er-Jah­ren ein neu­er Wind gegen den berühm­ten Muff von 1000 Jah­ren unter den Tala­ren. In der Fol­ge grün­de­ten 1970 Akti­vis­ten der Frank­fur­ter Stu­den­ten­be­we­gung die Karl Marx Buch­hand­lung. Oft und ger­ne wer­den heu­te Namen von Män­nern aus der Grün­der­ge­nera­ti­on genannt, die spä­ter eher außer­halb des Buch­han­dels berühmt wur­den: Josch­ka Fischer, Dany Cohn-Ben­dit oder Tom Koe­nigs.

Keh­ren wir zurück in die aktu­el­le Buch­hand­lung. Zur Geschich­te der heu­ti­gen Gene­ra­ti­on gehört, dass die Karl Marx Buch­hand­lung 2001 im Frank­fur­ter West­end zusam­men mit der bereits dort ansäs­si­gen Autoren­buch­hand­lung die neue Fir­ma „Autoren­buch­hand­lung Marx & Co“ grün­de­te. Dort arbei­ten mit Bar­ba­ra Deter­mann und Bet­ti­na Raue auch zwei Frau­en, die vor­her Karl Marx mit­ge­prägt haben.

Lob und Preis bekom­men heu­te Vere­na Schae­del, Marie Lau­ben­s­tein, Micha­el Mül­ler und Micha Hintz. Sie und die vie­len Aus­zu­bil­den­den und Aus­hil­fen der letz­ten Jah­re erschaff­ten und rea­li­sie­ren Tag für Tag – auf nota­be­ne 65 qm – mit Kom­pe­tenz und Sor­ti­ments­tie­fe eine Qua­li­tät des geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Buch­han­dels, die wir heu­te anders­wo lan­ge suchen müs­sen – und vie­ler­orts gar nicht mehr fin­den kön­nen.

Auch wenn die Buch­hand­lung einst vor dem Hin­ter­grund lin­ker Flü­gel­kämp­fe gegrün­det wur­de – die heu­ti­ge Karl Marx kommt ohne ideo­lo­gi­sche Scheu­klap­pen daher, ist welt­of­fen und ein­fach groß­ar­tig! Wie es sich für eine lin­ke Buch­hand­lung gehört.

Es kommt noch bes­ser: In der Karl Marx Buch­hand­lung ver­ei­ni­gen sich die tro­cke­nen Theo­rien aller Län­der höchs­tens in Buch­form – in der Laden­pra­xis herrscht eine gelas­se­ne, humor­vol­le und äußerst herz­li­che und ein­la­den­de Atmo­sphä­re.

Die kön­nen nicht anders dort! Egal, was der alte Marx eins­tens zu Arbeit, Ware und Ent­frem­dung geschrie­ben hat.