[9.5.2017 — 20 Uhr] Die­ner des Rechts und der Ver­nich­tung — Buch­vor­stel­lung und Dis­kus­si­on mit Chris­toph Schnei­der

Dies ist die Geschich­te eines Ver­suchs der Straf­ver­fol­gung. Straf­ver­fol­gung ist im Bereich der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Gewalt­ver­bre­chen ein bit­te­res Kapi­tel, im Feld der Mor­de an Kran­ken und Behin­der­ten ein bit­te­re­res noch. Der Ver­such ist fehl­ge­schla­gen, zudem wäre es fast gelun­gen, ihn ver­ges­sen zu machen.

Es ist eine kul­tur­wis­sen­schaft­lich erprob­te Metho­de, über fol­gen­lo­se Anstren­gun­gen, über das Nach­ge­schrie­be­ne und Weg­ge­drück­te auf den Gegen­stand zurück­zu­kom­men. Der Gegen­stand: Die Spit­ze der Jus­tiz des Deut­schen Reichs trifft sich auf Ein­la­dung des Jus­tiz­mi­nis­ters am 23. April 1941 und lässt sich über den Mord an den Anstalts­pa­ti­en­ten infor­mie­ren – von den Haupt­tä­tern.

Dies ist auch eine Fritz Bau­er-Geschich­te: Er initi­ier­te 1960 ein Ver­fah­ren gegen die Teil­neh­mer der Kon­fe­renz von 1941. Zwei Jah­re nach sei­nem Tod wird das Ver­fah­ren been­det, zehn Jah­re nach sei­nem Tod scheint es ver­ges­sen zu sein.
Was nicht erin­nert wer­den durf­te, was nicht gesühnt wer­den konn­te, was nicht gesche­hen sein soll­te – zusam­men ergibt es ein ein­drucks­vol­les Bild.

Chris­toph Schnei­der ist frei­er Autor und Kul­tur­wis­sen­schaft­ler. Er arbei­tet zu NS-„Euthanasie“ sowie zur Rezep­ti­on der NS-Ver­nich­tungs­po­li­tik in Fil­men, Nach­kriegs­pro­zes­sen und der Popu­lär­kul­tur.

[4.4.2017 — 20 Uhr] Der Miss­brauch des Eigen­tums — Buch­vor­stel­lung und Dis­kus­si­on mit Dani­el Loick

Kaputt­be­sit­zen: Der Miss­brauch des Eigen­tums

Die Hausbesetzer*innenbewegung präg­te den Slo­gan Lie­ber Instand­be­set­zen als Kaputt­be­sit­zen. Der Aus­druck des Kaputt­be­sit­zens impli­ziert dabei die The­se, dass Eigen­tum nicht eine Bedin­gung, son­dern ein Hin­der­nis des Gebrauchs ist. Der Vor­trag ver­sucht die­se The­se sys­te­ma­tisch zu begrün­den: Das Rechts­kon­strukt des Eigen­tums ent­zieht die Gegen­stän­de ihrer Gebrauch­bar­keit durch die Men­schen und es defor­miert die Men­schen selbst auf eine Wei­se, dass sie eines sinn­vol­len Gebrauchs von Gegen­stän­den nicht mehr fähig sind. Aus­ge­hend von der Pra­xis der Haus­be­set­zung wird abschlie­ßend für eine poli­ti­sche Eigen­tums­kri­tik plä­diert, die wich­ti­ge Impul­se aus der gegen­wär­ti­gen Debat­te um die Com­mons nimmt.

Dani­el Loick lehrt Phi­lo­so­phie an der Goe­the-Uni­ver­si­tät Frank­furt. Soeben erschien von ihm im August-Ver­lag “Der Miss­brauch des Eigen­tums”.

[8.3.2017 — 20 Uhr] Tomer Gar­di liest aus “bro­ken ger­man”

Jah­re, nach­dem Radi­li sich nach bedroh­li­chen Anpö­be­lun­gen durch Skins ein Mes­ser gekauft hat, kehrt er als Erwach­se­ner in die­sel­be Stadt zurück, und sei­ne neu­en Freun­de aus der »links­ra­di­ka­len WG« wol­len einen Film dar­aus machen. Die Suche nach dem damals ver­gra­be­nen Mes­ser ist die ers­te von vie­len Situa­tio­nen, die der Erzäh­ler vor uns abrollt, fal­len lässt, neu auf­nimmt und auf ganz unor­tho­do­xe Wei­se mit­ein­an­der ver­knüpft. Er ent­wi­ckelt eine Sze­ne im Jüdi­schen Muse­um, die in einen Kri­mi mün­det, er bespricht mit sei­ner Mut­ter Erin­ne­run­gen an ein von den Deut­schen besetz­tes Dorf in Rumä­ni­en (»Eine dicke Mann, der sei­ne Ärmel hoch rollt, fast bis zum Ach­sel, und sagt, bis hier­her, bis hier­her hät­te ich, bis hier­her hät­te ich mei­ne Ärme in Juden­blut ein­tau­chen, lebt in mei­ne Mut­ter«), er reka­pi­tu­liert einen Schul­aus­flug zu archäo­lo­gi­schen Gra­bun­gen im Nor­den von Isra­el, und immer wie­der fin­den wir uns in der »Bar zum Roten Faden«, in Loka­len und Call­shops wie­der, in denen Radi­li und sei­ne Freun­de Ama­dou, Fikert, Anu­an, Aba­yo­mi und Jamal abhän­gen.

Es wäre ein ganz nor­ma­ler, über­mü­ti­ger und unge­nier­ter Groß­stadt­ro­man, wäre da nicht sei­ne Spra­che, die Spra­che all die­ser Migran­ten, die wie der Erzäh­ler – »Das ist kein Deutsch!« – aus ihrer Spra­che depor­tiert und aus der Geschich­te bzw. der Erzäh­lung hin­aus­ge­wor­fen wur­den. »Rea­lis­mus schrei­ben nur Men­schen mit einem fes­ten Wohn­sitz und einer Auf­ent­halts­er­laub­nis«, sagt Tomer Gar­di und ent­wi­ckelt in Bro­ken Ger­man ein anspie­lungs­rei­ches, anspruchs­vol­les und ver­gnüg­li­ches Plä­doy­er für die Spra­chen­viel­falt in der einen Spra­che, für die Regel­über­tre­tung, für das nicht Nor­mier­te.

Tomer Gar­di, gebo­ren 1974 im Kib­buz Dan in Gali­läa, stu­dier­te Lite­ra­tur und Erzie­hungs­wis­sen­schaft in Tel Aviv und Ber­lin.
Er war Her­aus­ge­ber der Zeit­schrift »Sedek: A Jour­nal on the Ongo­ing Nak­ba«, ein Pro­jekt der israe­lisch-jüdi­schen Initia­ti­ve Zochrot, die die Erin­ne­rung an die Ver­trei­bung der Paläs­ti­nen­ser im öffent­li­chen Dis­kurs ver­an­kern will. Tomer Gar­dis lite­ra­ri­scher Essay Stein, Papier (dt. 2013 bei Rot­punkt) erschien 2011.

Wir freu­en uns ganz beson­ders auf die­sen Abend!